Trabant 601, Baujahr 1988

Faszination "Rennpappe"

04.07.2023 10:29 Uhr

Text und Fotos: Ansgar Wilkendorf

Aus Blech, Baumwolle und Kunstharz kann man Autos machen. Das hat der Trabant bewiesen. Die Produktion der „Rennpappe", wie sie liebevoll genannt wird, startete vor 65 Jahren in der damaligen DDR beim VEB Sachsenring in Zwickau, heute Sachsen. 1991 war nach rund drei Millionen Exemplaren Schluss. Der Zweitakter aus dem Osten Deutschlands ist bis heute Kult – und Tuning-Objekt ...

„Eigentlich sollte das ein Ersatzteilspender für meinen ersten Trabi werden", erinnert sich Maik. Er hatte den seinerzeit noch hellblauen Wagen Ende 1999 bei einem Autohändler im Nachbarort unter einem Carport entdeckt. „Kannst du für 50 Mark mitnehmen", meinte der Händler, was sich der gelernte Zweiradmechaniker nicht zweimal sagen ließ. Überraschenderweise stellte sich beim Zerlegen der Neuerwerbung heraus, dass die Basis in einem Eins-a-Zustand war. „Da habe ich mit meinem Bruder Kai zusammen überlegt: Mensch, da machen wir noch einmal ein ganz neues Projekt draus!" Also wurde Trabi Nummer eins verkauft und der Erlös in Nummer zwei investiert. Eigentlich sei ja nur „ein bisschen tiefer, andere Farbe, Überrollbügel und andere Felgen" geplant gewesen. „Dass das dann so eskaliert, daran hatte damals keiner von uns gedacht", lacht Mike.

Foto: Ansgar Wilkendorf

Eskalationsstufen

Das neue Jahrtausend und das neue Projekt starteten ungefähr zeitgleich. Als Erstes wurden die originalen Türgriffe durch Opel-Pendants ersetzt. Anschließend sorgten Maik und Kai mit Kotflügelverbreiterungen „made in Polen" für mehr Platz in den sauber verspachtelten Radhäusern der Rennpappe. Um die dazu nötigen GFK-Matten zum Halten zu kriegen, steckten die Brüder die Karosse kopfüber in ein selbst gebautes Gestell. Weiter ging es mit dem Glätten der Karosserie von der Dachkante bis zum Unterboden, dem Fräsen von Lufteinlässen im rechten Kotflügel und dem Einpassen einer dritten Bremsleuchte in der Kofferraumklappe. Den ursprünglichen Plan, das Auto in Metallicblau lackieren zu lassen, warf Maik über den Haufen, nachdem er im TUNING-Magazin auf einen Seat Leon in Standox Liquid Silver gestoßen war. Der Regenbogeneffekt begeisterte ihn derart, dass er beschloss: „Die Farbe muss es sein!" Nur war es gar nicht so einfach, einen geeigneten Lackierer zu finden. „Und als ich dann hörte, was ein Liter Farbe kostet, da habe ich erst mal geschluckt", erinnert sich Maik. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Im Zuge der Komplettierung kam neben der etwas sportlicheren Bestuhlung eines Fiat Barchetta bereits das entsprechend gekürzte Golf-1-Armaturenbrett – allerdings noch mit dem Trabi-Tacho – an Bord. Die Ablage auf der Beifahrerseite hatte Maik in GFK geformt, da durch das Kürzen ein großer Teil des Handschuhfachs auf der Strecke geblieben war. Vor dem Einbau lackierte er das Dashboard in Mattschwarz.

Foto: Ansgar Wilkendorf

Ebenfalls vom Golf 1 stammt die Bremsanlage an der Vorderachse. Hilfreich für den Umbau war, dass die Radnabe vom 1er-Golf die gleiche Verzahnung wie die Antriebswelle vom Trabi hat. Für die Montage der Bremssättel gab es einen entsprechenden Umbausatz. Um die bereitliegenden hochglanzverdichteten Schmidt TH-Line zu montieren, musste Mike für die Hinterachse neue Bremstrommeln mit einem Lochkreis in 4 × 100 besorgen. Für eine adäquate Tieferlegung sorgten von nun an vorne umgeschmiedete Blattfedern, hinten ein entsprechender Spiralfedersatz. Im Motorraum zogen die ersten Chromteile und eine Domstrebe ein, hier wurde lackiert, da poliert. Dann noch der Auspuff auf Doppelrohr umgebaut - und der Wagen war bereit, „getüvt" zu werden. Endlich, nach sieben Jahren Bauzeit, stand die erste Ausbaustufe.

... und alle machen mit

Damals war Maik viel im Kundendienst auf Montage: „Da hat man ja viel Zeit abends in der Pension." Seinen Feierabend nutzte der Mechaniker, um Pläne für den Innenraumausbau zu schmieden. So fertigte er Skizzen von seinen zukünftigen Türverkleidungen und dem Heckausbau an. Wieder zu Hause versuchte er dann, das Gezeichnete nachzubauen. „Beim ersten Ausbau haben wir noch laienhaft mit Bauschaum gearbeitet", erzählt Maik, „weil wir es halt nicht besser wussten." Da blieben Rückschläge nicht aus. Nach und nach war die ganze Familie Kalsow involviert. Neben Maiks Bruder packte auch der Papa mit an. „Und die Sitze wurden damals von meiner Mama mit der DDR-Nähmaschine neu gesattelt. Hat sie echt Bombe gemacht", strahlt der Schrauber. Von Mazda kam das Blaumetallic, das ab 2008 das Armaturenbrett, die Doorboards und den Heckausbau zierte.

Foto: Ansgar Wilkendorf

Die folgenden zwei Jahre war Fahren und Genießen angesagt. Den sprichwörtlichen Anstoß zu weiteren Aktivitäten machte ein Auto, das den Trabi Anfang 2010 beim Ausparken in einer Waschbox rammte. Maik hatte schon länger vorgehabt, die Karosse noch einmal gründlich zu überarbeiten und Anfängerfehler zu beheben. So bekam die „Plaste und Elaste" jetzt noch einmal einen gründlichen Feinschliff und Schröder Galvanik in Berlin sorgte für Chromglanz im gecleanten Motorraum. Diesmal sorgte Crossover-Airbrusher Bert Galster für die Lackierung in gleicher Farbe, jetzt allerdings mit dezentem Ghost-Airbrush. „Das war schon bombastisch", schwärmt der Schrauber rückblickend. Mikes Glück bekam allerdings einen herben Dämpfer, als sein an Krebs erkrankter Vater kurz vor der Fertigstellung des Trabis starb.

Jetzt aber richtig!

Ein paar Jahre später, zurück von der XS CarNight Classic in Dresden, stellte Mike beim Abladen des Trailers fest, dass sein Trabi rundum zerkratzt worden war – ein Schaden von rund 4.000 Euro. „Das war für mich der Grund, einen kompletten Neuanfang zu machen", erzählt Maik, der das Auto – diesmal ohne Hilfe – noch einmal zerlegte. Beim Überarbeiten der Karosse ersetzte er die Opel-Türgriffe durch solche vom Audi A6. „Da habe ich richtig Zeit investiert, damit das richtig perfekt wird". Auch Motor- und Kofferraumhaube wurden erneuert und von innen aufwendig geglättet.

Foto: Ansgar Wilkendorf

In dieser Zeit lernte Maik seine heutige Ehefrau Steffi kennen. Und so begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt: „Ich wurde Stiefpapa von zwei süßen Mädels, Lucy und Elly", lacht der Brandenburger. Infolgedessen ging es mit dem Trabi-Projekt nun etwas langsamer voran. Hauptsache, das Auto war zur Hochzeit und zur Premiere auf der XS CarNight Berlin fertig. Der Kofferraumausbau flog raus. Stattdessen plante und realisierte Mike eine „dezente Anlage, die aber richtig Druck macht". Nach einem Jahr Arbeit war der neue Hi-Fi-Ausbau endlich fertiggestellt.

Die hinteren Radhausabdeckungen hat Mike in GFK angefertigt und anschießend lackiert. Den Basisüberrollbügel zwischen den B-Säulen lieferten Experten von Wiechers. Die Streben nach hinten, das Kreuz und die Halter fertigte der Schrauber selbst an. Kumpel „Gradi", mit Vergangenheit als U-Boot-Schweißer in Kiel, schweißte den Bügel dann zusammen. Während dieser in Weiß gepulvert wurde, implantierte Mike hinter dem Momo-Lenkrad einen digitalen Motorradtacho im Armaturenbrett. Die Recaro-Sitze aus einem Golf 3 bekam er zu einem Spottpreis von einem Kumpel, der in Anklam an der Ostsee einen Schrottplatz besitzt. Obwohl diese in sehr gutem Zustand waren, ließ Mike die Bestuhlung nach eigenen Entwürfen von der Sattlerei Olzcak im polnischen Stettin neu beziehen. Die Konsolen für die Sitze fertigte Maik selbst an. In der Lackiererei Karsten Krause in Neuruppin bekam der Trabi ein neues Farbkleid mit dezent edlem Goldglimmer von BMW. „Kurz vor der Fertigstellung des Autos und der geplanten Hochzeit traf uns erneut ein Schicksalsschlag", erzählt Maik. „Meine Mama verlor nach fünf Jahren den Kampf gegen den Krebs."

Aber das Leben geht weiter: Am 9. September vergangenen Jahres heiratete Maik seine Steffi und mit der XS CarNight hat es auch funktioniert. Auf der Motorshow in Essen war der Trabi ebenfalls zu bewundern. Nach dem Regen scheint auch immer wieder die Sonne ...

Foto: Ansgar Wilkendorf

Trabant 601, Baujahr 1988 >>> Maik Kalsow

MOTOR: 600 ccm, 2-Takt, luftgekühlt, 26 PS, Blockvergaser; Motor, Getriebe, Lichtmaschine, Vergaser lackiert; Anlasser in Carbon laminiert, Motorradtankdeckel, Gelbatterie, Carbonmotorabdeckung, Lüfterrad und diverse weitere Teile verchromt

AUSPUFF: Eigenbauedelstahlanlage

FAHRWERK: härteverstellbare Koni-Stoßdämpfer vorne, gekürzte Dämpfer hinten; Blattfeder vorne 100 mm tiefer, hinten 40 mm tiefer; Domstrebe; Lenkung lackiert, Spurstangen verchromt

RAD/REIFEN: Schmidt TH-Line hochglanzverdichtet in 9 × 14 ET18 mit 60-mm-Spurplatten vorne und 25 mm hinten, Toyo Proxes TR1 in 195/45 und 225/40

KAROSSERIE: Neuaufbau aus Rohkarosse, Karosserie und Motorraum gecleant (Sicken und unnötige Löcher entfernt), Motor- und Kofferraumklappe innen geglättet; Haubendämpfer; Dachkante geglättet, Kotflügel um 7 cm verbreitert, GFK-Schweller, Audi-A6-Türgriffe mit Carbon, Tropfenspiegel gekürzt und mit Carbon laminiert, GFK-Stoßstangen in 500er-Optik, Golf-1-Klarglasscheinwerfer mit Fadenkreuz, dritte Bremsleuchte in Heckklappe, LED-Kennzeichenbeleuchtung (Scoda Oktavia), Gummikeder an Heckleuchte entfernt und geglättet, Regenlauf A-Säule geglättet, Unterboden und Radkästen grau lackiert; BMW-Lack

INTERIEUR: Recaro-Sitze (von Fa. Olczak gesattelt), 30er-Momo-Lenkrad, Golf-1-Cockpit angepasst und lackiert, digitaler Motorradtacho; VW-Passat-Lichtschalter; Handbremshebel mit Carbon laminiert, VW-Pedalgummis, Alcantara-Dachhimmel, elektrische Fensterheber, ZV, Alarmanlage, Ausstellfenster, GFK-Türverkleidung (Eigenbau), VW-Türöffner; erweiterter Wiechers-Überrollbügel

CARAUDIO: Kenwood-KDC-X7000DAB-Headunit, Hifonics-Zeus-ZX5.1- und -XX-Endstufen; Audio-System 2x M-165 evo2, 4x MS 165 evo, Subwoofer Alphasonik PSW

Danke: an meine Frau Steffi für jegliche Unterstützung und Motivation, meinen Bruder Kai für Teile der Elektrik, die kleinen Helfer am Rande, Lackiererei Karsten Krause, Lackierer Flo