Er bleibt eine Ausnahmeerscheinung

Unterwegs mit dem Golf 8 R

23.06.2022 15:59 Uhr

Text: Peter Hintze I Fotos: Jan Bürgermeister

Mit seiner Antriebstechnik soll der 320 PS starke Golf 8 R alles toppen, was bis dato unter dem Label Golf auf den Markt gekommen ist. Kann das gelingen? Wir sind gespannt.

Achtung, einmal tief Luft holen! Siebenundsechzigtausendneunhundertfünfundsechzig Euro – das ist eine Menge Holz für einen Golf. Oben genannte Summe ruft der Wolfsburger Automobilhersteller für unseren Testwagen auf. Die Rede ist vom aktuellen Golf 8 R. Das mit vielen aufpreispflichtigen Extras ausgestattete Topmodell der Golf-Reihe bereichert im Spätherbst 2021 für zwei Wochen unseren Redaktionsfuhrpark.

Foto: Jan Bürgermeister

In Lapiz Blue Metallic lackiert und mit dem Designpaket „Black Style" versehen, steht er vor uns. Der 320 PS starke Schönling macht von Anbeginn an eine gute Figur. Ein imposanter Auftritt. Er lässt fast vergessen, wie groß die Fußstapfen doch sind, in die er tritt. Erinnern wir uns: Der Golf R32, vorgestellt 2002, ist inzwischen eine Legende. Für viele bis heute das Maß aller Dinge. Mit seinem 241 PS (177 kW) starken 3,2-Liter-Sechszylinder war er seinerzeit der stärkste Golf, den Volkswagen bis dato gebaut hatte. Zudem allradgetrieben und in nur 6,6 Sekunden auf Tempo 100. Drei Jahre später debütierte schließlich der zweite Golf mit dem R32-Kürzel – mit 250 PS (184 kW) stärker und souveräner als sein Vorgänger. Vier Jahre vergingen bis zur IAA 2009 in Frankfurt: Dort wurde der V6-Sauger beerdigt. Volkswagen präsentierte auf Basis der sechsten Golf-Generation den ersten „R" mit Zwei-Liter-Vierzylinder-Turbo (TSI) und 270 PS (199 kW). Im September 2013 folgte auf Basis des Golf 7 die vierte Golf-R-Generation (300 PS/221 kW). Jetzt nun also der Golf 8 R, digitalisiert wie nie und mit einem Startpreis von knapp 50.000 Euro ein bisschen weg von der Idee, Sport zum erschwinglichen Preis bieten zu können ...

Ja, die Sechs-Zylinder-Träume sind ausgeträumt, Fünfzylinder den sportlichen Audi-Modellen vorbehalten ... Der Neuling mit dem amtlichen Kennzeichen WOB-GO 387 hat den uns bekannten Zwoliter-Vierzylinder EA888 Evo4 mit Turboaufladung und 320 PS (235 kW) unter der Haube. Dieses Triebwerk steckt unter anderem im aktuellen GTI und dem GTI Clubsport. In Kombination mit dem Sieben-Gang-Direktschaltgetriebe und dem Allradantrieb 4Motion mit R-Performance-Torque-Vectoring scheint der Spaß im Topmodell vorprogrammiert. Doch die Testwagenabteilung hat sich noch mehr einfallen lassen, um uns bei Laune zu halten. Unser R kommt unter anderem mit einem R-Performance-Paket, das unter anderem Drifts erlaubt und die Höchstgeschwindigkeit anhebt, der aufpreispflichtigen, aber lohnenswerten Akrapovic-Abgasanlage, dem Lederpaket „Nappa", LED-Matrix-Scheinwerfern IQ.Light sowie einem Panoramadach daher. Beste Voraussetzungen also, um mächtig Spaß haben zu können.

Foto: Jan Bürgermeister

Ja, sie haben unseren Ruf bei Volkswagen R offenbar gehört. Denn gegenüber seinem Vorgänger wirkt der Golf 8 R nicht mehr so bieder. Ein bisschen weniger Understatement, ein bisschen weniger Bausparkassen-Vertreter-Charme ... Trotzdem trägt der R-Golf nicht zu dick auf. Dieses Feld überlässt er dem Honda Civic Type R und dem Hyundai i30 N Performance.

Zurück zur „R"-akete. Unseren ersten Rundgang starten wir ausnahmsweise mal am Heck. Nicht etwa weil wir verreisen und checken wollen, wie viele Taschen wir im Laderaum verstauen können. Das machen andere. Sondern weil es richtig sexy ist. Zu besagtem R-Performance-Paket gehört nämlich auch ein fetter Heckspoiler. In Motorsportoptik thront er erhaben auf dem Kofferraumdeckel mit dem R-Signet. „Daumen hoch", heißt es auch für die R-Performance-Abgasanlage mit ihren vier echten Endrohren ... Sie sehen nicht nur verdammt gut aus, sondern sorgen auch für einen genialen Klang. Brabbelnd, sprotzelnd, knatternd ... Nichts auszusetzen gibt es an den 19-Zoll-Leichtmetallrädern. Sie sind ummantelt von Michelin Cup Sport 2 in der Dimension 235/35 R19 und füllen die Radhäuser gut aus. Auch hier findet sich das R-Logo prominent auf dem Nabendeckel wieder. Durch die Speichen fällt der Blick auf die fette Bremsanlage mit ihren blau lackierten Sätteln. Auch diese tragen vorn das R-Logo und nehmen das Wolfsburger Topmodell, wenn's drauf ankommt, souverän in die Zange.

Foto: Jan Bürgermeister

Typisch Golf ist der Innenraum.

Wie schon beim GTI finden wir uns sofort intuitiv zurecht. Die Performance-Abteilung hat im Interieur klar ihre Handschrift hinterlassen und diesen R-typisch veredelt. Das fängt beim neuen beheizten Multifunktionslenkrad mit R-Taste zur direkten Fahrprofilauswahl an, reicht über die klasse konturierten Sportsitze mit integrierter Kopfstütze, bezogen in feinstem Nappa, und endet letztlich beim Infotainmentsystem mit Harman-Kardon-Soundsystem. Wer's mag, blickt durch ein riesiges Panoramaglasdach auf den blauen Himmel. Für Romantik haben wir keine Zeit. Wir richten unseren Blick lieber auf die Straße. Denn es ist höchste Zeit für eine erste Ausfahrt. Also rein in den R und ab die Post. Das Digital Cockpit begrüßt uns standesgemäß. In gerade einmal 4,7 Sekunden marschiert der sportlichste unter den 8er-Gölfen auf Tempo 100. Wie gut, dass die Autobahn in unmittelbarer Nähe und heute so gut wie frei ist. Freie Bahn. Wir geben testweise Vollgas. Normalerweise ist bei 250 Stundenkilometern Schluss. Doch unserem Golf geht da noch lange nicht die Puste aus. Dank R-Performance-Paket geht's bis 270 Sachen. Jawoll. Check! Der neue Allradantrieb und das Hightech-Fahrwerk sind echte Fahrspaßgaranten. Das 4Motion-System mit R-Performance-Torque-Vectoring fungiert hier als Schaltzentrale, um die Motorkraft auf die vier Antriebsräder zu verteilen. Ein neues Hinterachsgetriebe verteilt die Kraft des Turbobenziners nicht nur zwischen der Vorder- und Hinterachse, sondern auch variabel zwischen den Hinterrädern. Das freut uns als Kurvenräuber. Apropos: quer fahren mit dem Golf? Klingt komisch, geht aber. Zum Performance-Paket gehört neben dem Nürburgring-Modus auch ein Drift-Modus. Hier gibt's Spaß auf Knopfdruck.

Sonst ist der Golf 8 R kaum zum Über- oder Untersteuern zu bewegen. Motor, Antrieb und Fahrwerk sind perfekt aufeinander abgestimmt. Man hat das Biest gezähmt, damit es jederzeit beherrschbar ist. Okay, Spaß kommt in jeder Situation auf. Manchmal jedoch würde man sich weniger technischen Schnickschnack wünschen. Doch die Digitalisierung scheint nicht aufzuhalten ...

Foto: Jan Bürgermeister

Fazit:

Der R-Golf ist und bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Das beweist die aktuelle Generation. Mit Performance-Paket und R-Auspuffanlage macht der Kompakte richtig Spaß und erlaubt sogar Drifts. Punktabzug gibt es für den Preis. Fast 70.000 Euro sind nicht wirklich „Volkswagen".

Golf R 2,0 l TSI OPF 4Motion 235 kW (320 PS) 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe DSG

Motor: Reihenvierzylinder mit Turboaufladung, Hubraum: 1.984 Kubikzentimeter, Leistung: 320 PS (235 kW), maximales Drehmoment: 420 Nm bei 2.100 U/min, Allradantrieb 4Motion mit Torque-Vectoring, 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (DSG)

Auspuff: R-Performance-Abgasanlage; Endschalldämpfer in Titan

Karosserie: Fließhecklimousine, fünftürig, Stoßfänger und Schwellerverbreiterung im R-Styling, R-Performance-Paket inkl. Drift-Modus und Heckspoiler in Motorsportoptik, inkl. Anhebung der Höchstgeschwindigkeit, Lackierung in Lapiz Blue Metallic, Panoramaausstell-/Schiebedach, Designpaket „Black Style", Seitenscheiben hinten und Heckscheibe abgedunkelt, IQ.Light-LED-Matrix-Scheinwerfer, inkl. Licht-und-Sicht-Paket

Interieur: Multifunktionssportlenkrad in Leder, beheizbar, mit Touchbedienung und Schaltwippen, Pedale in Edelstahl gebürstet, Topsportsitze vorn, Lederpaket Nappa, Volkswagen R, Navigationssystem Discover Pro inkl. Streaming & Internet, Komfortpaket, Head-up-Display, Rückfahrkamera Rear View, Soundsystem Harman Kardon, 8+1 Lautsprecher, 480 Watt Gesamtleistung, Zwölf-Kanal-Verstärker, Subwoofer, Vorbereitung mobiler Schlüssel für den Fahrzeugzugang per Smartphone

Fahrwerk: adaptive Fahrwerksregelung DCC

Rad/Reifen: 19-Zoll-Leichtmetallräder Estoril mit Michelin Cup Sport 2 in 235/35R19

Verbrauch in l/100 km: NEFZ: 9,0/5,9/7,0 (innerorts/außerorts/kombiniert // Werksangabe); WLTP: 11,5/7,8/6,6/7,2 /7,7 (sehr langsam/langsam/schnell/sehr schnell/kombiniert // Werksangabe), Testverbrauch: 9,0 l/100 km, CO2-Emission kombiniert 176 g/km, Kraftstoff: Super Plus

Fahrwerte: 0–100 km/h: 4,7 Sekunden, Vmax: 270 km/h

Basispreis: 49.260,00 Euro, Testwagenpreis: 67.965,00 Euro