29.07.2022 16:20 Uhr

Fotos: Ronald Veth I Text: Nick K. Hofmeister

Opel Kadett C, Baujahr 1976

Festhalten, Leute …

Schöne Kombis heißen Avant. Von wegen! In Erwin Schuits Augen gibt es nur einen Kombi und das ist der Opel Kadett C Caravan. Sein java-orangefarbener Opel hat dank eines Volvo-Motors 406 PS und ein maximales Drehmoment von 550 Newtonmeter – nicht schlecht für einen über 45 Jahre alten Kadett ...

Manche schwänzen freitags die Schule, kleben sich auf die Straße und andere betreiben auf ihre Art aktiven Ressourcenschutz. Meine Kollegen und ich von der Tuning-Redaktion wollen nun hier nicht polarisieren. Nur ist das immer ganz schön nervig, als Umweltsünder abgestempelt zu werden, nur weil man in einem Auto mehr sieht, als von A nach B zu fahren. Auch wir schützen unsere Umwelt. Wir trennen Müll, verklappen unser Altöl nicht im Garten und waschen unsere Karren auf Waschplätzen und nicht in der heimischen Hofeinfahrt. Chillen und grillen wir mit unseren Freunden, nutzen wir keine Einweggrills, trinken kein Bier aus der Dose und werfen unseren Abfall nicht an den Straßenrand. Hinzu kommt, dass der eine oder andere Kollege bekennender Altblech-Fahrer und Langzeitautofahrer ist. Aber so alt wie Erwin Schuits Altblech sind unsere Karren leider nicht. Erwin ist ein Langzeitautoschrauber und Langzeitautonutzer. Seit über zehn Jahren legt er an diesem java-orangefarbenen Opel Hand an. An Autos zu schrauben, hat er zwar nicht mit der Muttermilch aufgesaugt, aber er hatte schon mit Autos zu tun, als er noch gar nicht krabbeln konnte. Sein Vater schob ihn im Kinderwagen schon in die Garage und schon damals schien das Schrauber-Virus auf ihn übergesprungen zu sein. Während andere einen Beißring als Säugling hatten, hatte Erwin anscheinend einen Beißschraubenschlüssel. Schon im Kindergartenalter konnte Erwin seinem Vater das richtige Werkzeug reichen und von Grund auf lernte er, wie man Autos restauriert und umbaut. Von Kindesbeinen lernte er alles und so ist es auch kein Wunder, dass er nach seiner Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker noch Ingenieur wurde. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt im Motor- und Rallyesport.

Foto: Ronald Veth

Schrauber seit den Kindertagen

Wenn Motorsport sein tägliches Brot ist, warum schraubt er dann in seiner Freizeit an Altblech und vor allem an alten Opel? „Ich war schon immer ein großer Fan des Opel Kadett", sagt er, „vor allem von den Kombimodellen, weil man heute so gut wie kaum noch einen C-Kadett Caravan auf Events sieht – also musste das der richtige Wagen für mich sein. Ich hatte von Anfang an ein klares Ziel: den fettesten und schnellsten Caravan zu bauen, den es gibt. Ich wollte mich selbst und das Auto weiterentwickeln und das Wichtigste war, ein bisschen Spaß zu haben." Erwins umgebauter Opel, den ihr hier zu sehen bekommt, ist ein einmaliges Prachtexemplar und längst nicht fertig. Kein Wunder, ein Projektauto wird im Grunde nie fertig. Der Holländer verrät uns, dass in dem Caravan eigentlich zwei Projektautos stecken. Vor langer Zeit hat der 30-jährige Schrauber an einer alten Opel C-Kadett Limousine Hand angelegt. Aber irgendwie bog er falsch ab, schob die Limousine in die Garage und fand sein Glück in einem Volvo 940 Turbo. Den alten Ziegelstein mit seinem Turbovierzylinder bohrte er auf 265 PS auf und dann kam ihm die Idee, dass doch so ein Volvo-Motor in einem alten Opel eine wahre Zeitmaschine wäre. Leicht. Stark. Schnell. Aber da der Volvo ein Kombi war, musste eben besagter Caravan angeschafft werden.

Foto: Ronald Veth

Der Zweck heiligt die Mittel: Gitterrohrrahmen statt H-Kennzeichen

„Am längsten dauerte es, die Karosserie des Caravans umzubauen", seufzt Erwin. „Alte Opel rosten leider und mein Caravan war ein echtes Feuchtbiotop." Beinahe kommt man auf die Idee, dass die ganzen angeschraubten Kotflügelverbreiterungen aus Japan stammen könnten. „Ich habe überall geschaut und mich fleißig bei Risse Motorsport und Co. mit den Karosseriebauteilen eingedeckt. Vieles habe ich auch selbst gebaut oder bestehende Komponenten modifiziert." Der Großteil der Karosse besteht nun aus GFK und Kohlefaserelementen. Im Grunde ist der Opel Kadett eine Gitterrohrrahmenkonstruktion mit extrem umgebautem und umgeschweißtem Unterboden für den Getriebewechsel, den Motortausch und die Volvo-Hinterachse samt Sperrdifferenzial. Auch innen wurde fleißig zum Schweißbrenner gegriffen und eine Eigenbausicherheitszelle eingeschweißt. Selbst gebaut ist auch das puristische Armaturenbrett mit seinen Carbon-Verkleidungen und einer ganzen Batterie an Zusatzinstrumenten. Im Kofferraum des zum reinen Zweisitzer umgebauten Kombi ist nun ein Benzintank aus Aluminium eingesetzt. Natürlich ein Eigenbau wie so vieles an dem Opel. Tatsächlich ist von der Arbeit der Opelaner aus dem Werk in Bochum kaum noch etwas übrig. Sogar die Hilfsrahmen und das gesamte Fahrwerk hat Erwin überarbeitet. So gibt es nun an der Vorderachse Doppelquerlenker und das in der Druck- und Zugstufe einstellbare Gewindefahrwerk ist eine Sonderanfertigung von KW. Gebremst wird übrigens mit einer Volvo-S60-R-Bremsanlage, denn anstatt des alten und auf 265 PS getunten Volvo-Vierzylinders gibt es einen Topf mehr!

Foto: Ronald Veth

Fünf Zylinder blasen zum Halali

Erwin wollte einfach mehr Klang und mehr Boost. Also kaufte er sich aus einer „Volvo Schlachtplatte", einem verwohnten Volvo T-5 den 20V-Fünfzylinderturbo. Aufwendig revidierte er den 2,3-Liter-Motor und rüstete vom 2,5-Liter-20V Ein- und Auslassnockenwellen nach und überarbeitete das Ventilspiel samt der Hydrostößel. Der Zylinderkopf wurde geplant und die Kolben gegen Übermaßkolben ersetzt. Der alte Volvo-Serienturbolader wich neuer Hardware in Form eines Holset-HX35-Laders samt neuer Ladeluftrohre und übergroßen Ladeluftkühler. Bei 1,3 Bar Ladedruck wuchtet der aufgepumpte Fünfzylinder-Turbomotor 406 PS in das nachgerüstete BMW-Sechsgangschaltgetriebe. „Wie viel mein Opel eigentlich wiegt, habe ich noch gar nicht ermittelt", grinst Erwin, „aber die 406 PS haben leichtes Spiel mit meinem Altblech. Ich arbeite jetzt seit zehn Jahren an meinem Caravan und habe da ein ganzes Flickwerk an unterschiedlichen Komponenten eingebaut. Ich entwickle und erfinde ständig neue Dinge dafür." Jedes Teil am Opel Kadett Caravan ist modifiziert, maßgefertigt und stammt dabei manchmal von einem ganz anderen Auto. „Selbst aus einem Bobcat Minibagger habe ich mir das eine oder andere Teil geliehen."


Manchmal hat Erwin wochenlang gebraucht, um ein Stück Blech so anzufertigen, dass es passt, um dann festzustellen, dass das eine ziemlich doofe Idee war. „Manchmal habe ich auch die Geduld verloren und fing dann von vorne an. Aber egal, das gehört ja zum Schrauben dazu."

Foto: Ronald Veth

Erwin Schuit, Opel Kadett C 1.2 Caravan, Baujahr 1976

Motor: 1.196-ccm-Reihenvierzylinder mit 44 kW (60 PS); Motorumbau auf 2,319-ccm-Volvo-850-T-5-2.3-(B5234T)-Fünfzylinder-Turbomotor mit 165 kW (225 PS); Eigenbauein- und -auslasskrümmer; bearbeiteter Zylinderkopf; Ein- und Auslassnockenwellen vom B2554S (2.5 20V); Ventilfedern von Cat Cams; 0,4-mm-Übermaßkolben, H-Schaft-Pleuel; Holset-HX35-Turbolader, 50-mm-Wastegate, DO88-Ladeluftkühler; DTA-S100-Motorsteuergerät; 1,000-cc-Bosch-Einspritzventile; Volvo-740-Wasserkühler; 406 PS bei 1,3 bar Ladedruck

Auspuff: Eigenbau-Edelstahl-Auspuffanlage ab Turbolader mit 3"-Rohren

Fahrwerk: KW-Klassik-Sonderbau-KW-V3-Gewindefahrwerk; Eigenbaudoppelquerlenker, alle Stabis, Koppelstangen, Spurstangenköpfe mit PU-Buchsen; Umbau auf Volvo-Hinterachse

Getriebe: BMW-E46-320d-Sechsgangschaltgetriebe, Schaltwegverkürzung; Volvo-240-Hinterachse mit 75 % Sperrdifferenzial und Differenzialkühler

Rad/Reifen: Japan-Racing-JR6-Leichtmetallfelgen in 10 x 17 Zoll mit Michelin Pilots Sport Semis

Bremse: Volvo-S60-R-Vierkolbenbremsanlage mit 330-mm-Bremsscheiben (vo.), S60-R-Bremsanlage (hi.), hydraulische Fly-off-Handbremse erweitert

Karosserie: komplette Eigenbau-Gitterrohr-Karosserie auf Basis eines Opel C Kadett Caravans mit modifizierter Risse-Motorsport-GFK-Motorhaube, GFK-Türen und Heckklappe, Makrolon-Scheiben; HP-GFK-Kotflügelverbreiterungen, XPC-Styling-Frontschürze für Ladeluftkühler modifiziert; Eigenbauheckschürze und -heckspoiler aus Aluminium; Motorsport-Hauben-Sicherungssplints, Heckklappe gecleant; Dachhutze, Komplettlackierung in Java-Orange

Interieur: Eigenbausicherheitszelle mit Flankenschutz, Eigenbauarmaturenbrett aus Carbon mit AIM-Technologies-Digitaltacho; diverse Zusatzinstrumente, Kill-Switch, Alupedale, LTEC-Sportlenkrad; Sabelt-Schalensitze mit LTEC-Sechspunktgurten; diverse Metallverkleidungen, Teppiche; Eigenbautank aus Aluminium ...