26.03.2021 00:00 Uhr

Fotos: Jan Bürgermeister I Text: Peter Hintze

VW Golf 8 GTI

Schöne neue Elektronikwelt?

Der Golf GTI ist Kult – und das bereits seit mehr als 45 Jahren. Doch für den Volkssportler scheint die Luft zunehmend dünner zu werden. Volkswagen setzt voll auf die Elektromobilität, wirft einen I.D.-Stromer nach dem anderen auf den Markt und hat sich auch noch vom Motorsport verabschiedet.

Inmitten dieses Wandels kommt der Golf 8 GTI auf den Markt, seines Zeichens die neueste Generation der Ikone unter den frontgetriebenen Kompaktsportlern. Wird der Neue der Letzte seiner Art sein? Wird das „I" über kurz oder lang vom „E" abgelöst? Werden das legendäre Wörtherseetreffen und der Granit-GTI in Reifnitz irgendwann ausschließlich zu einem Anziehungspunkt für Oldtimerfans? Wir wissen es nicht. Fakt ist aber, wir blicken in eine ungewisse Zukunft. Wie gut, dass das digitalste aller bisherigen GTI-Modelle mit bekannten Tugenden und jeder Menge Unvernunft punktet.

Rückblende: September 1975. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt stellt Volkswagen den Golf 1 GTI vor. Wenige Monate später, im Sommer 1976, rast ein Volkssportler in eine automobile Klasse, die es eigentlich noch gar nicht gibt. Der Einser-GTI erobert die Herzen seiner Fans im Sturm und setzt ein deutliches Ausrufezeichen, dass die Überholspur nun nicht mehr nur Sportwagenfahrern mit dicken Brieftaschen vorbehalten ist. 5.000 Exemplare des sportlichen Golf-Ablegers hatten die Wolfsburger anfänglich geplant. Am Ende verließen 461.690 Golf GTI der ersten Generation die Fertigungsstraßen. Bis Ende 2019 sind mehr als 2,3 Millionen Exemplare produziert worden. Und der Golf GTI gilt als der erfolgreichste Kompaktsportwagen der Welt.

Foto: Jan Bürgermeister

Der digitalste GTI aller Zeiten

Nummer acht ist der digitalste Golf GTI und soll mit intelligent vernetzter Elektronik und individuell konfigurierbarer Fahrdynamik an die Erfolge seiner Vorgänger anknüpfen. Unter der Motorhaube arbeitet die bekannte Technik. Den Zweiliter-Turbodirekteinspritzer mit 245 PS und 180 kW kennen wir von der siebten GTI-Generation. Die neueste Evolutionsstufe der Turbomotoren-Baureihe EA888 trägt den Namen evo4 und erfüllt die Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM. Gut sechs Sekunden für den Sprint auf Landstraßentempo und elektronisch abgeregelte 250 Stundenkilometer in der Spitze versprechen pure Fahrfreude, wo es denn noch möglich ist ...

Typisch Golf. Sogleich vertraut.

An sich macht der Sport-Golf der achten Generation eine gute Figur. In puncto Design hat Volkswagen keine großen Experimente gewagt. Das Leuchtendesign spricht die aktuelle Volkswagen-Sprache, dazu hat die Golf-typische Karosserie ein paar Kanten hier und da bekommen. Eine imposante Erscheinung! GTI-spezifisch gestaltet ist der untere Bereich der Frontpartie mit gefühlt riesigem Lufteinlass im Wabendesign. Als Hommage an seine Ahnen trägt auch der Achter den roten Zierstreifen. Dieser spannt sich wie ein roter Faden von den Scheinwerfern über die Frontpartie. Das darunter liegende LED-Leuchtband soll den Auftritt veredeln. Die wie eine Zielflagge angeordneten Nebler passen da gut ins Bild. Die unlackierten Seitenschweller erzeugen optischen Tiefgang. Über dem Heck prangt ein markanter Dachkantenspoiler. Links und rechts vom Heckdiffusor lugen dicke Endrohre hervor. Coole Sache.

Foto: Jan Bürgermeister

Schade nur, dass die Wolfsburger den Dreitürer aus dem Programm gestrichen haben. Sei's drum ... Wir freuen uns über das fünftürige Exemplar, das uns die Testwagenabteilung auf den Hof gestellt hat. Der in Pure White lackierte Golf 8 GTI (Basispreis: 35.633,44 Euro) für unser 14-tägiges Rendezvous kommt handgerissen und voll gepackt mit Extras ... Da ist die Freude groß. Mit der ohne Aufpreis erhältlichen Außenlackierung hat es sich dann aber auch. Im Pressefahrzeug stecken fast 10.000 Euro an aufpreispflichtigen Gimmicks. Das fängt bei den 19-Zoll-Rädern namens Estoril nebst adaptiver Fahrwerksregelung für selbige an, geht bei den LED-Matrix-Scheinwerfern sowie Nebelscheinwerfern mit Abbiegelicht weiter und endet beim Navigationssystem Discover Pro mit Harman-Kardon-Soundsystem. Das Head-up-Display, die Rückfahrkamera und der Travel Assist lassen den Preis nochmals um knapp 1.500 Euro in die Höhe schnellen. Unterm Strich steht am Ende ein stolzes Sümmchen – und zwar 44.967,05 Euro.

Schöne neue Elektronikwelt?

Die komplett neu entstandene elektronische Architektur kann man mögen – oder eben nicht. Die neue Soft- und Hardware-Generation ist sowohl im Interieur als auch beim Fahren spürbar. Schalter sind im neuen Golf GTI Schnee von gestern. Bis auf die guten alten Fensterheber sind fast alle verschwunden. Stattdessen tauchen wir ein in eine voll digitalisierte Welt der Anzeigen und Bedienelemente.

Wie gut, dass von den alten GTI-Tugenden auch bei Nummer acht noch viele geblieben sind. Das Sportlenkrad etwa ist absolut klasse. Gleiches gilt für die Sportsitze mit den integrierten Kopfstützen, natürlich mit Karostoff bezogen. Dieser trägt den Namen „Scalepaper". Die neue Start-Stopp-Taste scheint nach dem Türöffnen nur darauf zu warten, endlich betätigt zu werden. Sie pulsiert in Rot. So muss das sein. Klassisches Rot oder doch lieber Hellblau, Neongrün oder Pink? Über die Farbe des Ambientelichts im Innenraum entscheidet allein der Fahrer. Er kann das Infotainmentsystem individuell konfigurieren oder das „Digital Cockpit" und den Motorsound nach Gusto individualisieren. Allerdings lenken die teils umständliche Menüführung und die Softtouch-Elemente mitunter vom Wesentlichen, nämlich dem Fahren, ab. Und Letzteres soll am Ende ja den Riesenspaß bringen. Macht es trotz winterlicher Straßenverhältnisse auch.

Foto: Jan Bürgermeister

Dynamik trifft Komfort.

Der neue Fahrdynamikmanager ist weltklasse. Mit ihm werden sowohl die elektronische Differenzialsperre XDS als auch die Querdynamikanteile der geregelten Dämpfer (DCC) angesteuert. Und so freuen wir uns schon beim Einsteigen auf die erste Kurvenhatz über die Serpentinenstraßen des Schwarzwalds. Hier spielt der GTI seine Stärken aus, und es zeigt sich die Ingenieurskunst der Fahrwerkentwickler. Sie haben das für Fronttriebler typische Untersteuern beim neuen Golf GTI praktisch abgestellt. Unser Testwagen nimmt selbst Haarnadelkurven mit hohem Tempo und beschleunigt, ohne an Traktion zu verlieren, souverän wieder aus diesen heraus. Der Performance-Motor namens EA888 evo4 macht Laune. 180 kW/245 PS und 370 Nm Drehmoment bringen den Volkssportler auf Touren und binnen gut sechs Sekunden auf Tempo 100. Ab auf die Autobahn! Es ist zwar schon spätabends geworden, aber die Piste ist Gott sei Dank frei. Vollgas im Schein der LED-Matrix-Scheinwerfer. Erst bei 250 Stundenkilometern wird abgeregelt. Bei Bedarf ist auf die Bremsanlage Verlass. Sie verzögert perfekt.

Ich gebe zu: Für mich als analogen Typen ist weniger mehr! Trotzdem mag ich die schöne neue GTI-Welt. Bleibt nur noch zu hoffen, dass der Volkssport nicht irgendwann komplett digitalisiert und elektrifiziert wird ...

Foto: Jan Bürgermeister

Golf GTI

2,0-Liter-Turbodirekteinspritzer (TSI) mit Otto-Partikelfilter (OPF), Motorkennung: EA888 evo4, Euro 6d-ISC-FCM, 245 PS (180 kW), maximales Drehmoment: 370 Nm bei 1.600 bis 4.300 U/min, 6-Gang-Schaltgetriebe

Karosserie: Lackierung in Pure White, IQ.LIGHT – LED-Matrix-Scheinwerfer inklusive Licht- und Sicht-Paket (Aufpreis: 1.096,64 Euro), Nebelscheinwerfer und Abbiegelicht (Aufpreis: 355,80 Euro), Seitenscheiben hinten und Heckscheibe abgedunkelt (Aufpreis: 263,19 Euro)

Interieur: Sportsitze mit integrierten Kopfstützen vorn, Karostoff Design „Scalepaper" auf Sitz- und Rückenflächen, Multifunktionssportlenkrad, Wabenmuster auf Schalttafel-Applikationen und Türverkleidungen, Start-Stopp-Taste, Digital-Cockpit

Rad/Reifen: Leichtmetallräder Estoril 8 x 19 Zoll in Schwarz/glanzgedreht, Volkswagen R, mit Bereifung in 235/35 R19 (Aufpreis: 1.545,04 Euro)

Fahrwerk: DCC-Fahrwerk, elektronische Differenzialsperre XDS, adaptive Fahrwerksregelung DCC für 19-Zoll-Leichtmetallräder (Aufpreis: 1.018,65 Euro)

Features: Fahrassistent „Travel Assist" (Aufpreis: 458,15 Euro), Komfortpaket (Aufpreis: 1.579,15 Euro), Winterpaket (Aufpreis: 438,65 Euro), Head-up-Display (Aufpreis: 682,36 Euro), Rückfahrkamera „Rear View" (Aufpreis: 316,81 Euro), Vorbereitung mobiler Schlüssel für den Fahrzeugzugang per Smartphone (Aufpreis: 224,20 Euro)

Car-Hi-Fi: Navigationssystem „Discover Pro" inklusive „Streaming & Internet" (Aufpreis: 692,11 Euro), Soundsystem „Harman Kardon", 8+1-Lautsprecher, 480 Watt Gesamtleistung, 12-Kanal-Verstärker, Subwoofer (Aufpreis: 662,86 Euro)

Beschleunigung: 0–100 km/h: 6,2 Sekunden, Vmax: 250 km/h abgeregelt

Verbrauch (l/100 km): Super Plus 98, 5,6–5,3/9,0–8,6/6,9–6,5 (außerorts/innerorts/kombiniert nach NEFZ, Werksangabe), 7,7–7,4/7,4–6,9/6,6–6,2/7,7–7,2/11,6–10,8 (kombiniert/sehr schnell/schnell/mittel/langsam nach WLTP, Werksangabe)

Basispreis: 35.633,44 Euro
Testwagenpreis: 44.967,05 Euro