VW Golf 6, Baujahr 2009

"Fire & Ice" reloaded

21.04.2022 14:15 Uhr

Fotos: Peter Herforth I Text: Ben Planz

Wir schreiben das Jahr 1990. Hans-Jürgen Windpassinger ist 14 Jahre alt und bis zur Eröffnung seiner Firma wird es noch neun Jahre dauern. Derweil wollen zahlreiche Kinobetreiber den neuen Film „Feuer, Eis und Dynamit" von Willy Bogner nicht vorführen, da die Fortsetzung von „Feuer und Eis" nicht gerade mit Produktplatzierungen geizt. Unter anderem mischte Volkswagen kräftig mit. Im Film sind vom Country bis zum GTI quasi alle Golf-II-Inkarnationen zu sehen. Sogar eine zum Monstertruck umgebaute und eine mit Raketenantrieb ausgestattete Variante kommen in dem Sportstreifen vor.

Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Bogner und VW war jedoch das Golf-II-Sondermodell „Fire & Ice", das zum Filmstart auf den Markt kam. Seine auffällige Lackierung in „Dark Violet Perleffekt" und sein eigenwilliges Interieur ließen den Zweier auf seinen 15-Zoll-„Estoril"-Rädern aus der Masse herausstechen. Heute ist der „Fire & Ice" Kult und schwer zu bekommen. Schließlich wurden damals nicht einmal 17.000 Exemplare gefertigt.

Kein Problem für Hans-Jürgen. Dann baut er sich halt selbst einen zusammen. Aber auf seine Art ...

Foto: Peter Herforth

Zeitsprung. Knapp 30 Jahre später steht Hans-Jürgens Firma „Low Car Scene" vor ihrem 20-jährigen Jubiläum und der Österreicher möchte zu diesem Anlass etwas Extremes bauen. Mit seinem Golf 4 im Leoparden-Look und mit Lowrider-Fahrwerk hat er schon vor vielen Jahren ganz schön vorgelegt. Dann war da noch der „Light Tron"-Golf 7, der dank Phosphor-Folierung im Dunkeln leuchtete und mit dem hauseigenen und durchsichtigen „Windrad"-Radsatz auftrumpfte. Wie man das wohl toppt?

„Mir hat schon immer die Optik von extrem tiefen VW Käfer, bei denen die Trittbretter auf dem Boden aufliegen, gefallen. Deshalb habe ich mir überlegt, so ein Design auf ein neueres Fahrzeug zu übertragen und es zu droppen", erzählt Hans-Jürgen. Sein Plan: eine nie da gewesene Fahrzeughöhe zu erreichen. Und das mit einer original wirkenden Karosserie, ohne Radlaufänderungen oder „Basteleien". Auch im Innenraum des Wagens sollte nichts zerschnitten werden. Und auf eine Käfer-Bodengruppe wollte der Österreicher auch nicht zurückgreifen. Ganz schön harte Maßgaben. Doch es kam noch härter. „Da ich immer Themenfahrzeuge baue, musste auch hier wieder eine besondere Idee her", blickt der Mann hinter der „Low Car Scene" zurück. Nach vielen Recherchen, die die benötigte Inspiration bringen sollten, stolperte er schließlich über einen Golf II „Fire & Ice". Schon war das Projekt „Golf 6 Deep Fire and Ice" beschlossene Sache.

Foto: Peter Herforth

Plan vs. Realität

Hans-Jürgen ging eigentlich davon aus, dass das Ganze vergleichsweise unspektakulär über die Bühne gehen würde. „Einmal quer um die Bodengruppe schneiden und wieder neu anschweißen, fertig!" So lautete der ursprüngliche Plan. Als der Österreicher seine Planungen vertiefte, tauchten nach und nach Probleme auf. Mittelkonsole, Armaturenbrett, Pedalerie ... Nichts würde mehr passen. Also wurde kurzerhand beschlossen, den Unterboden in Teilstücken zu verändern. Es ging ans Werk. Das Blech unter den Vordersitzen wurde 5 Zentimeter weiter nach oben versetzt, unter der Rückbank ging es gleich 8 Zentimeter aufwärts. Der komplette Kofferraumboden sowie die Radinnenhäuser wanderten unfassbare 13 Zentimeter weiter Richtung Oberkante des Golfs. Vorne konnten Radhäuser und Dome 6 Zentimeter versetzt werden. Achsträger und Motorlager mussten neu angepasst werden, da auch sie eine 8-Zentimeter-Wanderung mitmachen mussten.

Richtig! Das waren jetzt ganz schön viele Maßangaben.

Jetzt muss man sich vor Augen führen, wie viel Arbeit hinter jeder dieser Blecharbeiten steckt. Und was für ein Rattenschwanz diese Modifikationen hinter sich herziehen. Die Motorhaube ging zum Beispiel nicht mehr zu. Alle Anbauteile, die am oberen Ende des Antriebs zu Hause sind, mussten nach und nach angepasst werden. Und der Motor musste 25-mal aus- und wieder eingebaut werden, bis die perfekte Position gefunden war und die Haube wieder perfekt schloss. Die Rückenlehne der Rückbank musste um 8 Zentimeter gekürzt werden, da diese nun knapp unter dem Dachhimmel endete. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Kein Wunder also, dass die Karosseriearbeiten, für die zwei Wochen eingeplant waren, am Ende drei Monate verschlangen. „Das gesamte Projekt dauerte vom 4. Januar bis zum 18. Mai 2019!", erinnert sich Hans-Jürgen.

Foto: Peter Herforth

Auch wenn die Blechproblematik der größte Kraftakt war, gab es noch weitere Dinge zu meistern. Ein „Fire & Ice" ist keiner ohne Estoril-Radsatz. Originale 15-Zöller fielen als Lösung raus. Da Hans-Jürgen die Wiedergeburt einer Ikone nicht auf den Lack und das Interieur beschränken wollte, baute er kurzerhand ein Custom-Estoril-Rad.

Zusammen mit Kumpel Tobias Fleischer zeichnete er einen 19-Zoll-Entwurf, der dann aus einem geschmiedeten Rohling gefräst wurde. Aufgrund der extremen Anforderungen fielen die Dimensionen natürlich entsprechend krass aus. 7,5 x 19 Zoll mit ET 75 ist nicht gerade alltäglich. Glücklicherweise musste Hans-Jürgen in Sachen Tiefgang nicht lange überlegen. Da er mit „Windair" sein eigenes Luftfahrwerk baut und vertreibt, war von Anfang an klar, welches System für die nötige Tiefe sorgen würde. Das auf V3-Competition-Dämpfern von KW und Continental-Bälgen basierende Fahrwerk wurde für dieses Projekt natürlich entsprechend angepasst.

Das Gesamtergebnis ist unfassbar. Normalerweise kommt man auf ungefähr 23 Zentimeter von Radlaufunterkante bis Radmitte an der Hinterachse, wenn man ein Luftfahrwerk verbaut hat. Mit viel Aufwand und Blecharbeiten kommt man auch mal auf 18 Zentimeter. Hans-Jürgens Extrem-Projekt trumpft mit unfassbaren 7,5 Zentimetern auf. Das gab es noch nie!

Bilanz: Um die 700 Arbeitsstunden flossen schließlich in das Projekt „Golf 6 Deep Fire & Ice". Man kann sich darauf verlassen: Wenn Hans-Jürgen Windpassinger etwas EXTREMES plant, kommt auch etwas EXTREMES dabei heraus!

Foto: Peter Herforth

VW Golf 6, Baujahr 2009 >>> Hans-Jürgen Windpassinger

Motor: 1,4-l-TSI mit 160 PS

Fahrwerk: Windair-Luftfahrwerk, Edelstahl-Sonderanfertigung für extremen Tiefgang mit ultrakurzen KW-Dämpfern (Zug- und Druckstufe verstellbar) und Continental-Luftbälgen, circa 290 mm Tieferlegung

Rad/Reifen: ans Estoril-Design angelehnte Sonderanfertigung von „RADiKAL" in 7,5 x 19 Zoll (ET 75) mit 5-mm-Spurplatten rundum, Tracmax Privilo in den Dimensionen 225-30ZR19

Karosserie: ca. 600 Arbeitsstunden umfassende Schweißarbeiten für das Droppen der Karosserie, Außenhaut original belassen, Lackierung in Dark Violet LC4V

Interieur: angepasste und ans blau-violette „Fire & Ice"-Design angelehnte Custom-Ausstattung in Leder und Alcantara

Danke an: Andreas Sergl vom Lackiercenter Schaffner, Tobias Fleischer von RADiKAL und Dieter Strassl